Kurzgrammatik
Analyse eines lateinischen Satzes
Die Analyse eines lateinischen Satzes ist gar nicht schwer, wenn man systematisch an die Sache herangeht. Hierzu dient die folgende Anleitung:
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Siehe dazu die folgenden Erläuterungen!
Erläuterungen zur Analyse eines lateinischen Satzes
Zu 3. Aussondern der Nebensätze
Die Nebensätze sind an ihrer Einleitung zu erkennen:
a) an den Relativwörtern als Relativsätze
b) an den Fragewörtern als indirekte Fragesätze
c) an den unterordnenden Konjunktionen als Konjunktionalsätze
a) Relativsätze
Einleitung:
qui, quae, quod
quisquis; quidquid
quicumque, quaecumque, quodcumque
ubi, quo, unde (auch Fragepronomen)
Achtung!
Nach Punkt oder Strichpunkt kann ein Relativwort in einem relativen Satzanschluss stehen; Übersetzung mit Demonstrativpronomen.
Beachte!
Relativsätze im Konjunktiv haben oft einen besonderen Nebensinn (meist konsekutiv oder final).
b) Indirekte Fragesätze
Einleitung: alle Fragewörter auf:
qu-, cu-, u-
quis, quid, quo, quomodo, cuius, cui, cur, ubi, unde, uter, utrum
Fragepartikel:
num, ne, nonne, an, si
c) Konjunktionalsätze
Einleitung: alle unterordnenden Konjunktionen (bzw. Subjunktionen)
quod, ut, quin, ne, quominus, cum, postquam, antequam, priusquam, ubidum, quoad, donec, quamdiu, quia,
quamquam, quamvis, etsi, etiamsi, si, nisi
Zu 5. Konstruktion des Hauptsatzes
5. 1. Suche das Prädikat:
Es kann sein
a) ein Vollverb: z.B. legunt
b) ein Hilfsverb mit Ergänzung: z.B. bonus est / consul est / mos
est / laudandus est
c) ein Hilfsverb mit Infinitiv: z.B. venire potest / venisse videtur /
venire audet
meist steht das Prädikat im HS im Indikativ:
Im Konjunktiv erfüllt es folgende Aufgaben:
a) Irrealis/Nichtwirklichkeit (Impf./Plusquamperfekt) Bsp.: si hoc
crederes, errares / si hoc credidisses, erravisses
b) Potentialis/abgemilderte Behauptung (Konj. Präsens oder Per-
fekt = Potentialis der Gegenwart // Konjunktiv Impf. = Potentia-
lis der Vergangenheit) Bsp.: si hoc credas / credideris, erres / er-
raveris // diceres = man hätte sagen können
c) Optativ / Wunsch (alle Zeiten): Bsp.: valeas! (utinam/vellem)
valeret! (utinam) ne res publica in homines cupidos incidisset!
d) Hortativ/Aufforderung an die 1. Person Plural (Präsens)
Bsp. oremus! = lasst uns beten!
e) Deliberativ/überlegende Frage (Konj. Praes./Impf.)
quid faciam? = was soll ich tun?
quid facerem? = was hätte ich tun sollen?
5. 2. Suche das Subjekt!
Es steht im Nominativ und in gleicher Zahl wie das Prädikat. Es kann sein, wenn es nicht im Prädikat enthalten ist:
a) ein Substantiv
b) ein Pronomen (is, hic, ille, quid, talis u.a.)
c) ein Infinitiv (Prädikat im Neutrum Singular)
Bsp.: errare humanum est.
d) ein AcI (bei unpersönlichen Verben)
Bsp.: te venisse notum est = dein Kommen ist bekannt
e) ein Relativsatz: (Bsp.: qui id fecit, ignotus est)
5. 3. Suche Ergänzungen zum Subjekt:
Sie stehen auch im Nominativ. Es können sein:
a) Substantive: Cicero, alter consul
b) Adjektive: amicus verus
c) Pronomina: hic/meus amicus
d) Partizipien: discipulus laudatus
5. 4. Trenne ab!
a) Infinitiv-Konstruktionen: AcI/NcI
b) Partizipialkonstruktionen: Participium coniunctum/Ablativus
absolutus
c) -nd-Konstruktionen: Gerundium/Gerundivum
5.4.1. AcI/NcI
Beachte! Infinitive drücken ein Zeitverhältnis zum übergeordneten Verbum aus:
Infinitiv Präsens die Gleichzeitigkeit
Infinitiv Perfekt die Vorzeitigkeit
Infinitiv Futur die Nachzeitigkeit
Der Accusativus cum Infinitivo bezeichnet Aussagen, die abhängen von Verben des
Sagens dicere, narrare
Denkens scire, cogitare
Meinens putare, existimare
Wahrnehmens videre, animadvertere
Gemütsbewegung gaudere
Veranlassens iubere, vetare sind.
Es stehen solche Aussagen im AcI, die eine Tatsache sind oder
als solche hingestellt werden.
Übersetzungstechnik:
Ich sehe dich kommen
Ich sehe, dass du kommst
Schritte: Übergeordnetes Verbum übersetzen, dann:
- Komma setzen
- „dass“ einsetzen
- Akkusativ wird Nominativ und Subjekt
- Infinitiv wird finites Verbum und Prädikat
- weitere Teile übersetzen
Der Nominativus cum Infinitivo: Er steht nach einigen Verben des Sagens und Meinens im Passiv:
videor ich scheine zu …; es scheint, dass ich …
putor man glaubt, dass ich …
dicor man sagt, dass ich …
Der Lateiner konstruiert persönlich/im Passiv, der Deutsche unpersönlich.
5. 4. 2. Abtrennen der Partizipialkonstruktionen
a) Kennzeichen der Partizipien
Partizip Präsens Aktiv: Präsensstamm + ns, nt-
Partizip Perfekt Passiv: Partizipstamm + –tus, -ctus, -ssus, -sus, - xus
Partizip Futur Aktiv: Partizipstamm + -urus, -ura, -urum
b) Aufgabe der Partizipien
Sie bezeichnen wie Infinitive ein Zeitverhältnis zum übergeordneten Verbum.
Partizip Präsens: die Gleichzeitigkeit
Partizip Perfekt: die Vorzeitigkeit
Partizip Futur: die Nachzeitigkeit
c) Übersetzungstechnik
1. Suche nach obigem Kennzeichen des Partizips!
2. Suche das zum Partizip gehörende Beziehungswort! Es steht im gleichen Fall, gleich ist auch Zahl und Geschlecht (Kasus, Numerus, Genus).
3. Falls es sich um ein Participium coniunctum handelt:
a) wörtliche Übersetzung ist immer möglich
b) Wiedergabe durch einen Relativsatz
c) Wiedergabe durch einen Konjunktionalsatz
d) Wiedergabe durch einen Präpositionalausdruck:
das Partizip wird Substantiv; eine Präposition drückt das logische Verhältnis aus
e) Gleichordnung mit dem übergeordneten Satz durch Anschluss mit „und“/“aber“
Beispiel: Oppidum ab hostibus deletum restitutum est.
a) Die von den Feinden zerstörte Stadt wurde wiederhergestellt.
b) Die Stadt, die von den Feinden zerstört worden war, wurde wiederhergestellt.
c) Nachdem die Stadt von den Feinden zerstört worden war, wurde sie wiederhergestellt.
d) Nach der Zerstörung durch die Feinde wurde die Stadt wiederhergestellt.
e) Die Stadt wurde von den Feinden zerstört und wurde danach wiederhergestellt / wurde aber wiederhergestellt.
4. Falls es sich um einen Ablativus absolutus handelt:
Beispiele: Hostibus accedentibus cives portas clauserunt.
Hostibus victis omnes cives gaudebant.
Übersetzungstechnik:
- Übersetzung des Satzes ohne den Abl. abs.
- Komma
- Bei Partizip Präsens: indem/während / bei Partizip Perfekt Passiv: (häufig möglich:) nachdem (später logisches Verhältnis beachten!)
- Der Ablativ wird Nominativ und Subjekt.
- Das Partizip wird finites Verbum und Prädikat.
- Endgültige Übersetzung mit folgenden Möglichkeiten:
- Adverbialsatz (mit einer Subjunktion eingeleitet)
- Präpositionalsatz
- Beiordnung mit und/aber u. a.
Merke: Das logische Verhältnis des Abl. abs. zum übergeordneten Satz kann folgender Art sein:
|
temporal/ zeitlich |
kausal/ begründend |
konzessiv/einräumend |
kondizional |
Subjunktionalsatz |
als |
weil |
obwohl |
wenn |
Gleichordnung |
und dabei/ und dann |
und deshalb |
und trotzdem |
|
Präpositionalausdruck |
bei/während/nach |
wegen |
trotz |
|
Achtung! Manchmal fehlt im Abl. abs. das Partizip Präsens von esse:
- Caesare duce = indem C. Führer ist/war: unter Führung Caesars
- Pompeio consule = während P. Konsul war: unter dem Konsulat des Pompejus
- Caesare auctore = als C. Urheber war: auf Veranlassung Caesars
- Polybo rege = während P. König war: unter der Regierung des Polybos
- Filio ignaro = obwohl der Sohn unwissend ist/war: ohne Wissen des Sohnes
- Me invito = obwohl ich unwillig bin: gegen meinen Willen
- Patre vivo = als V. lebendig war: zu Lebzeiten des Vaters
- Me absente = während ich abwesend bin: in meiner Abwesenheit
- Infecta re = da die Sache ungetan ist: unverrichteter Dinge
5.4.3. Abtrennen der –nd-Formen
-nd Formen ohne esse: (ca. 80 % aller Fälle)
Übersetzung:
1. Infinitiv mit „zu …“/ „um zu …“
(auch bei Gen. + ‚causa‘ und ‚ad‘ + Akk)
2. Substantiv auf -ung
3. Substantivierter Infinitiv
Beachte! 4. im Ablativ auch Modalsatz üblich
(„dadurch dass“; „indem“)
(bloßer Ablativ: „durch …“;
‚in‘ + Ablativ: „bei …“)
Selten: 5. Adjektiv auf –wert / würdig
Beispiel:
ars rem publicam bene gerendi (Gerundium) / ars rei publicae bene gerendae (Gerundivum)
- Die Kunst, den Staat gut zu verwalten
- Die Kunst der guten Staatsverwaltung
- Die Kunst des guten Regierens
civitate bene gerenda
- … dadurch, dass man den Staat gut verwaltet
librum legendum novi
- ich kenne ein lesenswertes Buch (vgl. „Amanda“ = die Liebenswerte)
-nd-Formen mit esse:
„müssen“ / „nicht dürfen“ (falls verneint)
Ein Dativ gibt die Person an, die etwas tun muss/nicht darf.
Die –nd-Form hat passivische Bedeutung: dicendum est = es muss gesagt werden/man muss sagen.
Beispiel:
Amicus mihi adiuvandus est. = Der Freund muss von mir unterstützt werden = ich muss … unterstützen.
Achtung: Doppeldeutigkeit
Mulieri parendum est. = Der Frau muss gehorcht werden. / Die Frau muss gehorchen.
S.H.